Weihnachten bei Thomas Mann
Vom Zauber des Weihnachtsfestes
(tos). Wenn Karl-Josef Kuschel über Literatur schreibt, so kann man sich über zwei Dinge gewiss sein: Es ist interessant und es hat Substanz. „Weihnachten bei Thomas Mann“ ist interessant, weil Karl-Josef Kuschel eine klare Fragestellung hat – wie Thomas Mann die Beschreibung des Weihnachtfestes mit Aussagen füllt –, und Substanz hat es, weil sich der Tübinger Theologe nicht damit begnügt, die Texte allein sprechen zu lassen, sondern an zahlreichen Stellen Querverbindungen aufzeigt und Vergleiche zu anderen Werken der Zeit anstellt.
Karl-Josef Kuschel geht es in seinem 190 Seiten umfassenden Buch nicht darum, darzustellen, wie Thomas Mann selbst das Weihnachtsfest gefeiert hat, es geht ihm vielmehr darum, darzustellen, wie Thomas Mann das Weihnachtsfest in seinen Werken verarbeitet hat. Allen voran sind die Weihnachtsfeste bei den „Buddenbrooks“ legendär geworden: Da wird das Weihnachtsfest zunächst andächtig, würdevoll begangen, bis es dann zu einer Inszenierung verkommt, die den Verfall der Familie widerspiegelt. Wie brüchig die Welt geworden ist, zeigt sich auch beim Weihnachtsfest, das Thomas Mann im „Zauberberg“ beschrieben hat. Leere und Gleichgültigkeit herrschen gegenüber dem Fest vor, ein „Totentanz“ sei es, urteilt der Tübinger Theologe. Weihnachten ist ein gesellschaftlicher Anlass, mehr nicht.
Ist Weihnachten also ein bürgerliches Fest, dem der religiöse Bezug abhanden gekommen ist? Karl-Josef Kuschel zeigt auch eine andere Seite von Thomas Mann auf: Seine „Liebe zu den Zaubern des Weihnachtsfestes“, die er 1924 in einem Beitrag für eine ungarische Tageszeitung gestand: „(…) man glaubt zu begreifen, was Gnade, was Liebe, was Hoffnung ist“ – das klingt so gar nicht wie ein Weihnachtsfest im „Zauberberg“. Zudem ist Karl-Josef Kuschel überzeugt, dass Thomas Manns Einstellung zum Weihnachtfest sich veränderte, als er den Josephsroman schrieb. Bei der Arbeit mit dem biblischen Stoff habe er erkannt, wie wichtig die Wiederholung im Leben sei – das Feiern des Weihnachtsfestes werde bei Thomas Mann zu einem Ausdruck der Lebensbejahung.
So gelingt es Karl-Josef Kuschel in seinem Buch „Weihnachten bei Thomas Mann“ aufzuzeigen, wie Thomas Mann ganz gekonnt das Weihnachtsfest in seinen Werken nutzt, um familiäre und gesellschaftliche Veränderungen aufzuzeigen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass Thomas Mann weder in seiner Familie noch in der Literatur den Geschmack am Weihnachtsfest verloren hat – es ist und bleibt ein wichtiges, sinnstiftendes religiöses Fest.
© Thomas Sülzle von Literaturtipp.com
Karl-Josef
Kuschel
Weihnachten bei Thomas Mann
Patmos Verlag, Ostfildern
ISBN 978-3-491-72505-8
1. Auflage
2006, 190 Seiten, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 13,9 x 20,9 cm.
Preis: € 16,90 (D) / € k. A. (A) / sFr k. A.
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