Mittwoch, 15. Juni 2016

Rezension zu „Das Geheimnis des Fahrradhändlers“

Das Geheimnis des Fahrradhändlers
Ein unvergessliches Leseerlebnis

(dsz). Paul Tamburin ist Fahrradhändler im kleinen Städtchen Saint-Céron. Er hat sich mit seinem Geschäft mittlerweile einen so guten Namen gemacht, dass man in Saint-Céron nicht mehr Fahrrad fährt – sondern Tamburin. Doch der Fahrradhändler hat, wie es der Titel schon sagt, ein Geheimnis: Er kann gar nicht Fahrrad fahren. Jahrelang hat er geübt, ist gefallen, ist gerollt und wieder gefallen – doch er hat es einfach nicht erlernen können. „Als jedoch der Tag kam, an dem der junge Sportsmann kühn auf Stützräder verzichtet, um sich den Freuden des autogenen Gleichgewichts und der unbeschränkten Freiheit hinzugeben, da hatte Paul Tamburin die größten Schwierigkeiten, jene mysteriösen Kräfte miteinander in Einklang zu bringen, die da heißen: Schwerkraft, Zentrifugalkraft und Kraft bewegter Massen.“ – Sein Geheimnis wusste er stets gut zu hüten: Als Kind klebte er sich Pflaster auf die Beine um als Draufgänger zu gelten und schob sein Fahrrad mit einem Platten durch die Stadt. So konnte Paul Tamburin seine Lebenslüge aufrechterhalten. Bis er sich eines Tages mit dem Fotografen Henri Feigenblatt anfreundet und Feigenblatt ein Foto von Tamburin machen möchte: In voller Fahrt soll es den Abhang hinunter gehen... Paul Tamburin lässt sich darauf ein, sturzbetrunken.

„Das Geheimnis des Fahrradhändlers“ ist eine weitere liebevolle Geschichte von dem wunderbaren Zeichner und Autor Sempé, der nicht nur Liebhaber vom „kleinen Nick“ mit seiner neune Erzählung zu verzaubern weiß. Man kann einfach nicht genug bekommen von den wunderschönen Erzählungen und Zeichnungen, die einen im Herz bewegen, mitfühlen und verstehen lassen. „Das Geheimnis des Fahrradhändlers“ entführt den Leser in die Welt einer französischen Kleinstadt, die sich überall auf der Erde befinden könnte, und in das Herz von Paul Tamburin, der für jeden Erdenbürger stehen könnte. Denn wer hat kein Geheimnis? Und welche Schmach und welch ständig schlechtes Gewissen bedarf es, um diese Geheimnisse zu hüten?

Die Menschlichkeit Sempés macht den Erfolg seiner Geschichten aus. Die Liebe, mit der Text und Bild entstanden sind, und die Art, wie sie zueinander passen, einander ergänzen und aufeinander eingehen – aus dieser großen Kunst ist das wertvolle Büchlein Sempés entstanden. Auch die Übersetzung aus dem Französischen von Patrick Süskind, einem guten Freund des Autoren, ist ebenso gelungen, wie der Rest des Buches. Die Zeichnungen Sempés, in denen der Betrachter sich von Mal zu Mal aufs Neue verlieren kann, bestechen durch ihre Einfachheit und zartbunte Färbung – und der Fahrradhändler Tamburin durch sein ach so menschliches Geheimnis.

„Das Geheimnis des Fahrradhändlers“ von Jean-Jacques Sempé erfüllt alle Erwartungen an den französischen Meister des Zeichnens und Geschichtenerzählens. Es ist ein wertvoller Schatz, der mit Sicherheit nie wieder aus dem Gedächtnis seines Lesers gestrichen werden wird. Einfach unvergesslich!



Sempé
Das Geheimnis des Fahrradhändlers
Aus dem Französischen von Patrick Süskind
Diogenes Verlag, Zürich
ISBN 978-3-257-06473-5
3. Auflage, 104 Seiten, durchgehend farbig illustriert, Leinen gebunden mit Schutzumschlag, Format 12,6 x 19,2 cm.
Preis: € 16.- (D) / € 16,50 (A) / sFr 21.-



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Montag, 13. Juni 2016

Rezension zu „Emily und das Meer“

Emily und das Meer
Eine Perle unter den Bilderbüchern – Emily auf der Suche nach demjenigen, der das Meer geklaut hat.

(sl). Emily ist ein aufgewecktes Mädchen mit langen roten Haaren, Stupsnase und einem rot-gemusterten Kleidchen im Patchworkstil. Sie ist scheinbar das erste Mal am Meer, denn als sie über die Düne blickt, ist das Meer verschwunden. „Wer hat das Meer geklaut?“, ruft sie erstaunt aus – und macht sich sogleich auf die Suche, diese Frage zu beantworten.

Andrea Reitmeyer ist mit „Emily und das Meer“ ein bezauberndes Bilderbuch gelungen, das einer Frage nachgeht, die sich jedes Kind und sicher auch so mancher Erwachsener schon gestellt hat. Wie Ebbe und Flut funktionieren, wird in diesem Bilderbuch so einfallsreich wie simpel erklärt, und man wird das sicher so schnell nicht mehr vergessen.

Emily fragt zuerst die Möwen, wo das Meer hin ist. Aber denen ist das egal. Im Gegenteil, sie sind sogar froh, dass das Meer weg ist, damit sie an die leckeren Wattwürmer kommen. Also fragt Emily als nächstes die Robben. Die sagen, dass das Meer bald wieder kommt – und vielleicht habe ja auch einer den Stöpsel gezogen. Doch Emily ist schlau genug um zu wissen, dass es am Meeresboden sicher keinen Stöpsel gibt. Die Qualle, die vom Meer vergessen wurde und hofft, dass es bald wieder zurückkommt, ist der Meinung, dass die Fischer das Meer eingefangen haben. Und die kleine Krabbe, die Emily auf dem Dünensteg trifft, ist felsenfest davon überzeugt, dass das Meer von den Walen getrunken wurde, weil doch so viel in ihre Mäuler passt. Aber auch das findet Emily, wie schon die Antworten zuvor, unglaubwürdig.

Schließlich trifft Emily einen alten Seemann, der auf einem Leuchtturm wohnt (warum ist es dann eigentlich nicht der Leuchtturmwärter?). Der sagt Emily, dass der Mond das Meer geklaut hat. Und das ist nun wirklich die albernste Geschichte von allen, findet Emily und macht sich kurz entschlossen auf, das Meer eben selbst zu suchen. So läuft sie einfach in die Richtung, in der das Meer sein müsste, weg vom Strand, immer weiter raus – und plötzlich ist es da: das Meer. Doch das Meer steigt ganz schnell und Emily gerät in Not…

Wie die Geschichte ausgeht, soll hier natürlich nicht verraten werden. Aber keine Sorge, Emily wird nicht ertrinken. Andrea Reitmeyer hat nicht nur den Text zu „Emily und das Meer“ geschrieben, sondern die originelle Geschichte auch illustriert. Und ihre Illustrationen sind wunderbar! Die meisten gehen über beide Bilderbuchseiten, zwei der Bilder sind im Hochformat – wie sonst soll man auch einen Leuchtturm in einem querformatigen Bilderbuch unterbringen. Auf den Bildern steckt viel Liebe zum Detail: Da döst eine Möwe auf dem Bauch einer Robbe, die Fischer angeln mit Eimern und Gießkannen an Bindfäden, und der Mond, der Dieb, trägt eine Gangster-Augenbinde. Ganz am Ende des Bilderbuches befindet sich eine Mond-Ebbe-Flut-Uhr, die man ausschneiden und zusammenbasteln kann, um dann durch Drehen immer zu wissen, zu welchen Zeiten Ebbe und Flut entstehen.

„Emily und das Meer“ ist ein bezauberndes Bilderbuch für alle, die das Meer lieben, deren Kinder an den Küsten aufwachsen, und die mit ihrer Familie Urlaub an der See machen! Und für mich persönlich eine der schönsten Bilderbuch-Neuerscheinung der vergangenen Jahre.

© Steffani Lehmann von Literaturtipp.com


Andrea Reitmeyer
Emily und das Meer
Jumbo Verlag, Hamburg
ISBN 978-3-8337-2882-2
1. Auflage 2012, 56 Seiten, durchgehend farbig illustriert, Hardcover gebunden, Format 30,2 x 20,8 cm.
Preis: € 14,99 (D)



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